GREIFENSEE. Die noch blutjunge georgische Pianistin Tamar Beraia sorgte im Landenberghaus mit ihrem Klavierrezital mit Werken von Beethoven und Liszt für ein unvergessliches Konzerterlebnis.
Iren Maier
Stern stunden sind jene seltenen Erscheinungen, die einen für einen Mo-ment in eine höhere Atmosphäre ent-rücken lassen. Der jungen georgischen Pianistin Tamar Beraia war es am letzten Sonntag gelungen, das Greifenseer Publikum auf einen solchen musikalischen Höhenflug mitzunehmen.
Mut bewies die Künstlerin schon bei der Programmierung mit Werken von Ludwig van Beethoven und Franz Liszt. Von beiden Komponisten hat sie Spät-werke gewählt, die sowohl in ihrer dramatischen Deutung wie auch in pia-nistischer Virtuosität das Höchste an Meisterschaft abverlangen.
Kunst des Formulierens
Den Auftakt zu einem Abend voller Höhepunkte machte Tamar Beraia mit zwei Rondi op. 51 von Ludwig van Beethoven. Wer aber glaubte, die Pianistin würde sich mit diesen galanten, graziösen Klavierstücken einfach ein-spielen, sah sich eines Besseren belehrt. Bereits hier zeigte sie ihre Kunst des Formulierens, ihren samtenen Anschlag und ihr Läufe wie Perlenketten, die auch in schwindelerregendem Tempo keinen Ton verloren.
Mit der zweisätzigen Sonate op. 111 setzte Beethoven einen grandiosen Schlusspunkt unter sein Sonatenschaf-fen. Der erste Satz mit seiner drama-tischen Leidenschaft ruft den Kampf der Lebensgeister empor, indes sich die anschliessende Arietta bereits in höhere Sphären begibt. Mit welcher Ausdruckskraft und geschickter Agogik Beraia die eruptiven Elemente aufwallen liess und damit die Gegensätzlichkeit in der Dramaturgie zuspitzte, war bestechend.
Feine Schattierungen
So viel zum fantastisch gespielten ersten Satz. Aber was die junge Musikerin im zweiten Satz zeigte, war schlicht atemberaubend. Mit einer unglaublichen inneren Ruhe spielte sie das tief-sinnige, in Bewegung und Klang immer gleichbleibende Thema des zweiten Satzes. Fein dosierte sie die behutsame Steigerung in den anschliessenden Variationen und betonte die nochmals aufflammenden Energien in der dritten Variation mit starken rhythmischen Akzenten. Ihr facettenreiches Spiel erlaubte ihr, selbst in das leiseste Piano feine Schattierungen einzuflechten und die Töne am Schluss wie einen Hauch entschweben zu lassen.
Die h-Moll-Sonate von Franz Liszt gilt als eines der schwierigsten Klavier-werke, die dem Interpreten sowie dem Zuhörer einiges abverlangt. Liszt war zu seiner Zeit (geboren 1811, gestorben 1886) der Klaviervirtuose schlechthin. In seiner einzigen Sonate verband er sein ganzes musikalisches Wissen und seine enormen pianistischen Fähigkeiten. In ihrer Komplexität setzte diese Sonate einen Meilenstein in der Klaviermusik.
Betörende Klangsinnlichkeit
Die erst 24-jährige Tamar Beraia näherte sich der kontrastreichen Drama-turgie des Werkes in raffiniert pointier-ter Sichtweise ganz ohne Effekthascherei. Spannungsvolle Pausen wusste sie ebenso auszukosten wie das Spielen mit klanglichen Farbschattierungen. Mit Fingerspitzengefühl — im wört-lichen Sinne — gestaltete sie die Über-gänge zwischen den Extremen der peitschenden «Hammerschläge» und der besänftigenden Lyrik. Ihr Spiel ist all-gemein wohl durchdacht und strömt dennoch eine betörende Klangsinnlichkeit aus.
Mit der jungen Georgierin Tamara Beraia hat die Kulturgesellschaft Greifensee als organisierende Institution im letzten Jahr an den Meisterkursen in Schaffhausen einen Diamanten entdeckt, der in der Zwischenzeit sehr hörbar bereits zum Brillanten geschliffen wurde.
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